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Ab hier beginnt ein neues Leben. Nichts wird mehr so sein, wie Du es kennst. Du bekommst hier eine für einen Berufseinsteiger geradezu unverschämt gute Chance. Also: Versau es nicht. Sei vorbereitet. Sei nett. Und lächele. Zeig ihnen, was in Dir steckt. Es war früher Nachmittag, und ich saß allen Ernstes vor meinem großen Wandspiegel und redete mit mir selbst. Leute können einem viel erzählen von Veränderungen, die das Berufsleben mit sich bringt, wenn man sich an einem sonnigen Herbstnachmittag dabei ertappt, dass man in seinem Spiegel mit sich selber redet, dann ist das mehr Veränderung, als man auf einmal verkraften kann. Aber wenn es doch hilft...
Here we go: achtundzwanzig Jahre, ein 1a- Studienabschluss (Diplom), ein einjähriges, berufsbezogenes Praktikum, und jetzt der ganz große Fisch an der Angel. Läuft doch wie am Schnürchen, niemand kann etwas anderes behaupten. Von dem Gehalt träumen andere. Wo wir schon einmal hier sind, für eine Wahrheit reicht das Tageslicht noch, also noch einmal ein tiefer Blick in den Spiegel. Du bist die einzige, die denkt, es gelte, etwas zu beweisen. Die, die Dich lieben, wissen seit jeher, dass Du Dein bestes gibt. Die, die Du liebst, sind nicht mit Namen und Geld zu beeindrucken, und das weißt Du auch. Marcus kommt nicht zurück, weil Du von einem Tag auf den anderen eine Heldin der Arbeit wirst. Marcus ist es egal, was Du tust, er ist am (Un-)Menschlichen verzweifelt, nicht an der generellen schlechten Aussicht auf dem Arbeitsmarkt, sind wir uns da einig? Ja. Nein. Wer redet hier von Marcus? Niemand, doch das Schweigen um ihn ist so laut, dass es allen in den Ohren dröhnt.
Ab jetzt wird alles anders. Keine durchzechten Nächte mehr, kein Alkohol unter der Woche, keine Verzweiflung. Hier ist der Punkt Null, Du bekommst eine neue Chance auf einen neuen Anfang. Und das soll es dann jetzt wirklich sein, diszipliniert, ordentlich und keimfrei? Wenn es sein muss, auch das, ja. Bei Dir hört es sich fürchterlich an, aber es ist das Beste so. Und dann musste ich mich vom Spiegel abwenden, weil ich die Aussicht nicht ertragen konnte, mit achtundzwanzig das Leben zu leben, von dem ich annahm, dass es 'das beste' für mich sei.
Wie symbolisiert man einen Neuanfang, wie einen Punkt Null? Mir fiel nichts ein, als meine gesamte Wohnung zu schrubben, einkaufen zu gehen und den Kühlschrank mit lauter gesunden Dingen zu füllen. Nur ein paar Stunden später dann war die Wohnung makellos sauber, und ich, ich kam mir plötzlich auch ganz und gar aufgeräumt vor. Obwohl ich mir so viel vorgenommen hatte, das es noch zu erledigen, zu erfahren galt, verstrichen die zwei Wochen bis zum Antritt meines neuen Jobs damit, dass ich lange schlief, viel in Büchern las, die ich seit Jahren hatte lesen wollen, mit verschiedenen Freunden zu lange in verschiedenen Cafés und Bars herumlungerte und zu viel Geld ausgab. Jeder einzelne betonte, was für ein Glück ich habe, wie viel Glück sie mir für 'die schwierige Aufgabe' wünschten, die mir bevorstand (wozu denn noch mehr Glück, wenn ich angeblich schon so viel davon hatte? Nun denn, das gehörte wahrscheinlich zu den Dingen, von denen man, wie es so schön heißt, nie genug bekommen kann.
Es ist unglaublich, mit welch abenteuerlichen Erklärungen man vor sich selber einen Samstagabend rechtfertigen muss, den man nicht im Kreis alter Freunde oder neuer Bekannter in einer lauten, übervollen, zentrumsnahen Einrichtung verbringt, die allein dem Entertainment dient. Grundsätzlich niemals ist es so, dass sich einfach nichts ergeben hat, in jedem Fall waren die Alternativen im Angebot nicht reizvoll genug, langweilig, nicht das schon wieder, was, die sind auch dabei, bitte, mit denen kann ich unmöglich von der gleichen Luft atmen, oder: Ein Spiele-Abend? Wie alt sind wir denn bitte - sechzig? Und die-und-die verbringen ihren Abend zu zweit, Dinner bei Kerzenlicht, und dann vielleicht noch ein Video, ein bisschen kuscheln, also ehrlich. Es gibt sie einfach, diese Abende, in denen alle anderen bei Leuten eingeladen sind, die man nicht kennt/nicht mag/die einen nicht mögen. Oder an denen Zweisamkeit bei allen Menschen um einen herum auf einmal im Vordergrund steht, und was will man da machen? Grundsätzlich ist es ja so, dass, wenn man sich selber gerade getrennt hat/getrennt worden ist, der Rest der Bande, ach was: der ganzen Welt, auf einmal dem Glücksrausch verfällt, alle sind verliebt und springen Händchen haltend durch Blumenwiesen - außer einem selbst. Zwar wünscht man denen das beste, sich selbst aber auch, und das beste ist es, sich von diesen Menschen weit entfernt zu halten, sonst wird man noch grün vor Neid oder das vor Augen geführte Glück bringt einen auf dumme Idee wie die gezielte Streuung von Gerüchten oder der ein oder andere tiefe Blick in die Augen des sicher geglaubten Partners einer anderen. Nichts ist sicher.
Womit ich dann doch noch mal auf Marcus kommen muss, ich glaube, da ist doch einiges in den falschen Hals geraten. Ich bin nicht bitter. Ich bereue nichts. Es ist mir so was von egal, wie es ihm ergeht. Gott, jetzt hör doch endlich auf damit, sonst kommen wir wieder kein Stück weiter. So ist das schon, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, so, wie man unter einen Geschäftsbrief automatisch die Floskel 'Hochachtungsvoll' oder 'Mit freundlichen Grüßen' setzt, so folgt bei mir automatisch diese üble Verwünschung, sobald ich mit anderen Menschen über Marcus rede oder auch nur an ihn denke. Das ist einfach nicht abzuschalten. Schutzmechanismus. Ganz bestimmt. Ein Fall für den Wackeldackel. Nein, viel zu einfach. Das Geld sparen wir uns. Denkt in dieser schnelllebigen Zeit eigentlich noch jemand daran, sich gründlich zu entlieben? Ich meine, verlieben, das kann jeder, und das tut jeder, oft und gerne. Man sollte vorher alle Türen hinter sich schließen, sich versichern, dass man wirklich nichts mehr fühlt, alle Sachen zurückbringen, nicht unter schlechten Vorwänden behalten (ganz schlecht: Riechen an T-Shirts, die er getragen hat).
Halb offene Türen sind eine feige Sache. Und irgendwann tut es weh, ganz sicher. Ich habe keines seiner T-Shirts mehr, noch irgendwas, das seinen Namen oder Spuren von ihm trägt. Nichts geht doch über einen sauberen Schnitt. Gleich am Tag, nachdem die Trennung ausgesprochen und rechtsgültig war, hatte ich alle seine Sachen (nicht viele) in eine Tasche gepackt und zu seinem Haus gefahren und alle meine Sachen von dort entfernt (noch weniger).
Ein Jahr und vier Monate sind keine Ewigkeit, da machen wir uns nichts vor. Keine Zukunftsversprechen, die plötzlich in kleine Atome zersplittert vor dem inneren Auge niedergehen, keine gemeinsamen Besitztümer außer vielleicht der ein oder anderen CD, und die machen den Kohl dann auch nicht mehr fett. Und doch sind sechzehn Monate ausreichend Zeit, um sich daran zu gewöhnen, dass da jetzt jemand ist, den man anruft und dem man liebe Sachen sagt, von dem man Liebes zugeflüstert bekommt. Der neben einem einschläft und auch wieder aufwacht, nicht so oft, wie er es sich gewünscht hätte, das wissen wir jetzt, und der einem nahe steht, auch hier nicht nah genug, schon gut, we get the message.
Selbst, wenn man sich nicht sicher ist, ob man die betreffende Person jemals wirklich geliebt hat, man sollte sich auf jeden Fall entlieben. Lieber einmal zuviel als einmal zuwenig, denn dieses eine Mal kommt sicher irgendwann wie ein Bumerang zurück. Der Bumerang hat mich genau im Nacken getroffen, das weiß ich jetzt, ich vermisse Marcus, obwohl ich ihn nicht geschenkt nehmen würde, wenn er plötzlich wieder vor meiner Tür stünde ('Hochachtungsvoll'), und es gibt niemanden, mit dem ich diese wichtige Erkenntnis hier und heute teilen kann, weil alle kollektiv dem Liebeswahn verfallen sind und über Kerzen hinweg in die Augen eines (noch nicht, vielleicht bald) geliebten Menschen blicken, während Mozart spielt und Schmetterlinge durch den Raum und im Bauch tanzen. Gott, was gäbe ich jetzt für einen Spiele-Abend.
Das Schlimmste daran, dass man plötzlich Single ist, ist das Phänomen, dass diese Tatsache von Freunden und Bekannten stets wie eine Krankheit wahrgenommen wird, ein Zustand also, den es schnellstens und um jeden Preis zu überwinden gilt, egal mit welchen Mitteln. Grundsätzlich hat jeder noch irgendwo einen Freund, Bekannten oder Cousin, der dringend vom Markt muss, und wirklich, das ist immer der netteste, best aussehende, gebildetste, vermögendste Freund, Bekannte oder Cousin, der je allein über diesen Planeten gewandelt ist, unglaublich eigentlich, dass ausgerechnet den auch die Single-Krankheit ereilt hat. Schuld sind natürlich immer die Frauen, die das personifizierte Glück nicht als das erkannt haben, was es ist, Pech für sie. Glück für mich. Dass wir zusammen passen, steht natürlich stets außer Frage, immerhin haben wir dieselben Interessen, dieselbe Geschichte, den gleichen Geschmack, dasselbe Sternzeichen, die gleichen CDs, den gleichen Humor. Haha! Sicher ließe sich da beizeiten ganz unauffällig ein Date arrangieren, nur so zum Spaß. Nur so zum Spaß meint natürlich jeweils den Spaß derer, die diese blödsinnige Verabredung erst ins Leben gerufen haben und mit Argusaugen über jede Bewegung und jede Äußerung wachen, die die tun, die sich unschuldig in die Enge getrieben sehen und natürlich längst viel mehr über den anderen wissen als das, was sie in erster schüchterner Annäherung gerade versuchen, zu erfragen, man lässt sich schließlich nicht unvorbereitet auf so ein Abenteuer ein. Und eigentlich wollte man selber ja nie wirklich, man wurde gedrängt, bebettelt, an alte Schulden erinnert, bitte, tu es für mich. Man tut es. Und in jedem einzelnen Fall ist man schließlich von dem reizenden, reichen und brillant aussehenden Menschen auf der anderen Seite des Tisches enttäuscht. Und vermutet, nein: weiß!, dass man sich mit der, die ihn verlassen hat, viel mehr zu sagen hätte als mit ihm, da würden die Korken knallen und dann würden wir uns weglachen über diese Ausgeburt an wahlweise Arroganz/Selbstherrlichkeit, Dummheit, Naivität oder schlichtweg Hässlichkeit, zuprosten würden wir uns und dann würde ich mir die Entschuldigung der Damen anhören, warum sie es überhaupt so lange mit einem Menschen ausgehalten hatten, der so vollkommen gar nicht zur Diskussion stand. Und am Ende des Tages hätte ich eine neue Freundin gefunden, aber immer noch keinen neuen Freund, sorry: den Mann fürs Leben.
Wir pokern hoch dieser Tage, jedes Mal höher als beim Mal vorher. Und selbst, wenn das Gegenüber tatsächlich der Richtige wäre oder sogar sein will, gibt es keinen gemeinsamen Weg ins Glück: Alles, was Gutes und Wunderbares an ihm zu erahnen ist, erinnert stets nur an das vergangene Glück mit dem, den man selber eigentlich niemals verlassen wollte, an dessen breite Brust man sich just hier und jetzt so sehr zurücksehnt, dass man es keinen einzigen Augenblick länger tränenfrei ertragen kann, von ihm getrennt zu sein, und jetzt entschuldigt mich bitte, nein, keine Umstände, ich zahle schon selbst. Je älter wir werden, desto individueller wird unser Leben. Jeder trägt irgendwo Narben unter der immer noch makellos glatten Haut. Jeder von uns hat sein persönliches Waterloo durchlitten. Und der Zeitraum zwischen dem Kennenlernen und der Entdeckung der schlecht verheilten Wunden des Gegenübers wird immer kürzer. Wir sind schon geprägt von einem ganzen Leben, das ohne den anderen stattgefunden hat und in dem wir versagt haben, oder in dem uns das Glück versagt worden ist. Denn sonst wären wir ja nicht hier. Denn sonst hätten wir ja alles besser gemacht. Wir hätten die Ewigkeit noch auf unserer Seite und nicht solche Angst vor immer wieder denselben Fehlern.